Markneukirchen als Instrumentenbaustandort in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts
Kultur, Handwerk, Industrie |
Enrico Weller |
Stadtgeschichtliche Ereignisse in der Zeit um 1800 |
1796 |
Bau des Schützenhauses an der Schönbacher Straße. |
1797 |
Grassieren einer Ruhepidemie (110 Todesfälle im Gesamtjahr). |
1800 |
Der Sommer "war dermaßen trocken, dass selbst die Quellen das Wasser versagten
und die Mühlen nicht malen konnten". |
1801 |
Feier des Jahrhundertwechsels, Festumzug zur Kirche. |
1806-1813 |
Die Napoleonischen Kriege: Franzosen, aber auch Italiener, Preußen und Russen
kommen in den Ort, es finden Aushebungen für das Militär statt;
Kriegskontributionen, hohe Steuern und Naturalabgaben sind zu
leisten, im Gegensatz zum Dreißigjährigen Krieg kommt es kaum zu
Plünderungen. |
nach 1815 |
Eine relativ ruhige Entwicklung ist zu verzeichnen, die Revolutionen 1830 und 1848
brachten gute Aufträge (für Musikinstrumente der Bürgergarden). |
1840 |
Der große Stadtbrand in der Nacht vom 22. zum 23. April 1840 gilt als
schlimmstes Ereignis der Stadtgeschichte. Bis auf wenige Häuser
an den damaligen Ortsgrenzen wird der gesamte Ort ein Raub der
Flammen. Durch den Neuaufbau veränderte sich das Ortsbild
nachhaltig. Die Stadt wurde großzügig, aber vielfach auch
nüchterner wieder aufgebaut, bot nun jedoch ausreichend Platz
für das Wachstum der Bevölkerung und des Gewerbes. |
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Über die
Instrumentenproduktion der Jahre 1797/1798 gibt Karl Heinrich
Römer (Staatsrecht und Statistik des Churfürstentums Sachsen und
der dabey befindlichen Lande, Band 4, Leipzig, 1804, S. 350f.)
wie folgt Auskunft: "Nicht unerheblich sind die Fabriken von
musikalischen Instrumenten zu Leipzig und Dresden und vorzüglich
auch in den Voigtländischen Kreiße, zu Neukirchen und Adorf".
Seine Statistik über die vogtländische Instrumentenproduktion
für diesen Zeitraum enthält folgende Zahlen: |
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1797 |
1798 |
Violinen |
252 (Dutzend ?) |
265
(Dutzend ?) |
Klarinetten |
284 |
250 |
Oktavflöten |
324 |
162 |
Piccoloflöten |
110 |
98 |
Waldhörner |
294 |
304 |
Fagotte |
24 |
42 |
Posthörner |
266 |
213 |
Trompeten |
180 |
180 |
Bässe |
12 |
11 |
Flöten |
602 |
572 |
Bassetthörner |
8 |
14 |
Violinsaiten |
5350 Bund |
4320 Bund |
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69 Geigen- und Bassmacher (+ 100 Mitarbeiter) |
30 Saitenmacher (+ ca. 60 Mitarbeiter) |
17 Bogenmacher |
28 Kunstdrechsler |
16 Waldhornmacher |
12 Schuhmacher |
11 Schneider |
6 Bäcker |
6 Tischler |
5 Böttcher |
5 Lohgerber |
5 Leinweber |
3 Hufschmiede |
3 Müller |
4 Fleischer |
2 Glaser |
2 Seifensieder |
2 Schlosser |
2 Seiler |
2 Wagner |
2 Kürschner |
2 Töpfer |
2 Tuchmacher |
1 Zimmermeister |
1 Weißgerber |
1 Sägeschmied |
1 Maurermeister |
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Nach der Chronik von Friedrich August Crasselt (1821, S. 74ff.) gab es 1821 folgende Handwerksberufe in Markneukirchen 1821. |
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Demnach waren zwei Drittel der
Handwerker, insgesamt 160 Meister, im Instrumentenbau tätig, nur 80
Werkstätten werden im normalen städtischen Handwerk gezählt. Auffällig
ist das Fehlen der Zupfinstrumentenmacher; die Ursache hierfür liegt mit
Sicherheit in der Kontroverse der Geigenmacher-Innung mit den Tischlern.
Nicht ersichtlich ist der Anteil der Instrumentenhändler. In einem
Hausbesitzerverzeichnis des Jahres 1812 werden von 265 aufgeführten
Hauseigentümern 22 als Instrumentenhändler bezeichnet. Bis auf fünf
übten sie aber alle noch einen Handwerksberuf aus, am häufigsten (8 x)
gab es die Kombination "Saitenmacher und Instrumentenhändler". |
Bis zur Mitte des 19. Jh. wurden folgende Instrumentenmacher-Innungen
gegründet (sie bestanden nur in den älteren Zweigen des
Instrumentenbaus, nicht mehr in der schon fabrikmäßig
betriebenen Harmonikafertigung in Klingenthal). |
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1677 |
Geigenmacher-Innung Markneukirchen
(ab 1887 Saiteninstrumentenmacher-Innung, bis 1934) |
1716 |
Geigenmacher-Innung Klingenthal (bis 1887) |
1730 |
Geigenmacher (später Instrumentenmacher)-Innung Schöneck (bis 1934) |
1777 |
Saitenmacher-Innung Markneukirchen (bis 1934) |
1797 |
Gesellschaft musicalischer Instrumenten-Mechanici Markneukirchen
(Blasinstrumentenmacher-Gesellschaft), 1887-1899 Blasinstrumentenmacher-Innung |
1805 |
Blasinstrumentenmacher-Gesellschaft Adorf, 1888-1899?:
Musikinstrumentenmacher-Innung |
1853 |
Tischlerinnung mit Gitarrenmachern Markneukirchen,
1887-1899: Tischler- und Instrumentenmacher-Innung |
1856 |
Bogenmacher-Genossenschaft Markneukirchen,
1888-1903 Bogenmacher-Innung |
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Der Instrumentenbau des 19. Jh. war im
Vogtland handwerklich geprägt, auch wenn der Begriff "Fabricant" von den
Händlern oft, aber ohne Berechtigung gebraucht wurde. Erste Fabriken
entstanden erst 1861/62 im Markneukirchner Metallblasinstrumentenbau.
Zwar galten die Innungen weiterhin als Organisationsform des Handwerks,
allerdings kam es hier zu Verfallserscheinungen. Ursprünglich waren die
Innungen nur auf Städte begrenzt, sie bekämpften daher die
"Verschleppung" des Handwerks auf umliegende Landgemeinden, um die Zahl
möglicher Konkurrenten gering zu halten. Doch gerade dieser Trend ist im
19. Jh. im vogtländischen Instrumentenbau zu beobachten. Umso
verbissener führten die Innungen den Kampf gegen die "Unzünftigen", die
so genannten "Pfuscher" (Pfusch ist hier nicht nur als Qualitätsbegriff
zu sehen, sonder bezieht sich auch darauf, dass den Innungen in ihr
Handwerk [gegen ihre Regeln] gepfuscht wurde). Mit der 1862 einführten
Gewerbefreiheit hatten die Innungen ihre Existenzberechtigung verloren,
viele bestanden aber formell weiter, pflegten alte Innungsbräuche
(Leichentragen, Versammlungen mit Geselligkeit). Eine Wiederbelebung des
Innungswesens erfolgte dann erst nach Gründung des Kaiserreichs in den
1880er Jahren. |
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C. Schmidt: Die Markneukirchner Kirche 1812 (bis 1840) |
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Mit der Schwächung der Innungen festigte sich im Vogtland das Verlagswesen, im 19. Jh. die wichtigste
Form für den Absatz der Instrumente. Die Handwerker gerieten überwiegend in die Abhängigkeit von den Verlegern, den so
genannten "Fortschickern". Dabei erfolgte die Produktion hausgewerblich mit einer stark differenzierten Arbeitsteilung
und einer vielfältigen Bestandteilfertigung. Ihr Umfang erreichte hinsichtlich der Beschäftigungs- und Produktionszahlen
fabrikmäßige Dimension, weshalb auch der Begriff "Hausindustrie" geprägt wurde. Als negativ erwies sich der Preisdruck auf die
Erzeuger, der Nachteile für die Qualität mit sich brachte, auch wurde kaum noch selbst signiert. Positive Aspekte des
Verlagswesens sind die Erschließung neuer Märkte als Existenzgrundlage einer ganzen Region, die Erschließung von
Rohstoffquellen sowie die Einführung neuer Instrumente und Modelle. Bedeutend war in diesem Zusammenhang der Übergang zum
organisierten Export-Handel mit den USA. Vor diesem Hintergrund zeigt die Arbeitskräftestatistik des vogtländischen
Instrumentenbaus im 19. Jh. eine starke Aufwärtsentwicklung: |
1828 |
933 Beschäftigte |
1871/72 |
3011 Beschäftigte |
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Allein in Markneukirchen stieg die Zahl der Instrumentenbau-Meister von 160 im Jahre 1821 auf 234 im Jahre 1828. |
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Stadtansicht von Markneukirchen vor 1840 |
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In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts hatten sich die Hauptstandorte des vogtländisch-westböhmischen
Instrumentenbaus dann auf einzelne Bereiche spezialisiert:
- Markneukirchen: alle Orchesterinstrumente, Schwerpunkte im Bereich Streich/Zupf, Saiten, Handel
- Schönbach: Saiteninstrumente
- Graslitz: Metall- und Holzblasinstrumente
- Klingenthal: Harmonikaindustrie |
Markante Ereignisse der vogtländischen Instrumentenbaugeschichte in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts |
1795 |
Der aus Markneukirchen ausgewanderte Schuhmacher Gottlob Paulus läßt sich in Amerika nieder und
begründet die direkten Handelsverbindungen mit den Vereinigten Staaten, weiterer Ausbau der Geschäftsbeziehungen ab
1815/16 durch Heinrich Gütter und die Brüder George und August Klemm. |
um 1800 |
Herstellung der ersten Gitarren durch den Tischler Johann Georg Martin, andere Zupfinstrumente
wurden aber bereits vorher im Vogtland hergestellt (lt. Innungsstatut von 1677 die Zister) |
1797 |
Johann Friedrich Jehring aus
Siebenbrunn begründet die Holzblasinstrumentenmacherei in
Sachsenberg und Klingenthal. |
ab 1806 |
Erschließung ausländischer
Rohstoffquellen für die vogtländische Saitenherstellung durch
die Söhne von Israel Kämpffe und weitere Markneukirchner: Der
Einkauf und die erste Bearbeitung (Putzerei) der Schafsdärme
wird vor Ort organisiert in Moskau (1806), London (1815),
Dänemark (1846) und ab 1851 verstärkt in Russland (Petersburg,
Rostow/Don, Buchara, Odessa, Woronesch, Taschkent). |
1826 |
55 Meister stiften die Fahne
für das "Ehrsame Geigenmacher-Korps" in Schönbach. |
1827 |
Erster Nachweis eines im
Vogtland hergestellten Metallblasinstruments mit Ventilen,
hergestellt von Johann Christian Wilhelm Heinel in
Markneukirchen. |
1829 |
Johann Wilhelm Rudolf Glier aus
Klingenthal bringt von einer Geschäftsreise eine Mundharmonika
mit, die in der Firma seiner Brüder nachgebaut wird. Damit
begründet er die Harmonika-Industrie in Klingenthal, sie
verdrängt die älteren Branchen des Orchesterinstrumentenbaus. |
ca. 1833 |
Die Firma I. Kaempffens Söhne
aus Markneukirchen gibt den ersten bis heute überlieferten
Musikinstrumenten-Katalog (Preis-Courant) heraus. |
1834 |
Erste Ausstellungsprämierung
für einen vogtländischen Hersteller auf der "Ausstellung
sächsischer Gewerb-Erzeugnisse" in Dresden (Carl August Bauer
erhält für eine aus Argentan gefertigte Ophikleide die "kleine
goldene Medaille"). |
1835 |
Beginn einer
Auswandererbewegung nach Osteuropa mit den Brüdern Friedrich
Wilhelm und Johann Adam Ernst Glier aus Klingenthal (Warschau). |
1848 |
Der Musikinstrumentenbau wird
auch im sächsischen Westerzgebirge heimisch: Die aus Chemnitz
stammenden Brüder Zimmermann beginnen in Carlsfeld die
Herstellung von Handharmonikas/Bandoneons (spätere Firmen Arnold
bis 1964). |
1851 |
Auf der ersten Weltausstellung
in London stellen vier Markneukirchner und zwei Klingenthaler
Firmen aus, was zu einem weiteren Aufschwung im Export mit den
USA führt. |
1852 |
Carl Wilhelm Lederer führt in
Markneukirchen den Zitherbau ein. Schon um 1840 kannte man die
Mandoline, bis 1870 folgen weitere Zupfinstrumente wie die
Balalaika. |
1852 |
Beginn des Akkordeonbaus in
Klingenthal und Umgebung, eingeführt durch die Klingenthaler
Harmonikafabrikanten und Instrumentenhändler Glier sowie I. C.
Herold in Untersachsenberg. |
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Kulturelle Aspekte |
1804-1812 |
Die "Gläsel-Chronik" – ein
frühzeitiges und umfangreiches Beispiel südvogtländischer
Mundartschreibung (teilweise gedruckt 1878/82) – beschreibt
"Mark-Neukirchen und seine Zustände in der Zeit von 1804 bis
1812". Hierbei handelt es sich auch um ein wertvolles Zeit- und
Geschichtsdokument; besonders das Kapitel "Gwerb, Hannl u Wannl"
ist für die Geschichte des Instrumentenbaus von Interesse. |
1821 |
Der Markneukirchner Diakon
Friedrich August Crasselt legt die erste Chronik des Ortes vor.
Hier finden sich auch Aussagen zur Kirchenmusik. Der Schulrektor
war zugleich Kantor, die Trennung der Ämter erfolgte 1828.
Zunächst wurde wohl nur der Chorgesang gepflegt, Aufgabe war die
Heranbildung von "Chorschülern" für den Knabenchor. Die
Instrumentalmusik ist ab 1680 (Orgel) und ab 1710 mit den
Choradjuvanten (Instrumentalisten) bezeugt. Eine besondere
volkstümliche Tradition hatten die Christmettenbräuche. |
1828-1830 |
Aufenthalt des Dichters Julius
Mosen. Informationen über das damalige Markneukirchen enthalten
vor allem die Mosen-Biographien, einiges ist auch in seinen
Werken zu finden (z. B. die Erwähnung der Aeolsharfe). Eine
besondere gesellschaftliche Bedeutung hatte seinerzeit der
Schützenverein (die Privilegierte Schützengesellschaft 1671), zu
der auch Mosen Kontakte hatte. |
1834 |
Gründung der Musikschule Markneukirchen als erster Vorläufer späteren Gewerbefachschulen (Musiklehrer
Wilhelm Petzold), parallel dazu Zeichenunterricht an der Sonntagsschule (Gustav Adolf Wettengel). Beides dient der
fachlichen Qualifizierung des Instrumentenmacher-Nachwuchses. |
1843 |
Gründung der Musikschule in Klingenthal. |
1853 |
Gründung des Stadtorchesters Markneukirchen und Anstellung des ersten Musikdirektors. Das
gemeinsame Musizieren Markneukirchner Bürger und Instrumentenmacher ist aber schon 1710 mit den ersten drei Stadtmusikanten verbürgt. |
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Literatur |
Bein, Louis: Die Industrie des
sächsischen Voigtlandes. Wirtschaftsgeschichtliche Studie.
Erster Theil: Die Musikinstrumenten-Industrie. Leipzig 1884 |
Crasselt, Friedrich August: Versuch einer Chronik von Markneukirchen. Schneeberg 1821 |
Wild, Erich: Geschichte von Markneukirchen. Stadt und Kirchspiel. Plauen 1925 |
Wild, Erich: Ein Gang durch die
Geschichte der Musikstadt Markneukirchen. In: Festschrift für
die 600-Jahr-Feier der Musikstadt Markneukirchen. Markneukirchen
1960, S. 4-16 |
Weller, Enrico: Zeittafel zur
Geschichte des Musikinstrumentenbaus im Vogtland und in
Westböhmen. In: Museum Markneukirchen. Sächsische Museen Band 9.
München und Berlin 2000, S. 103-111 |
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Inhalt |
C. F. Martin (bis
1833) |
Thüringisch-sächsische Gitarren |
Bibliographie |
© STUDIA INSTRUMENTORUM MUSICAE 2011 |