Historismus: Lutherzither
Andreas Michel
Am Ende des 19. Jahrhunderts setzte - neben der kontinuierlichen Weiterführung des Zisternbaus vor allem in Thüringen - eine über die Region hinausreichende Bewegung ein, die nach den Worten ihrer Protagonisten zum Ziel hatte, die Zister "vor gänzlicher Vergessenheit zu schützen" oder das "uralte und urdeutsche schöne Instrument in seiner ursprünglichen Form wieder zu bauen und so zu neuem Leben zu erwecken". Diese, ihrem Wesen nach historisierenden Bestrebungen fanden zunächst ihren Ausdruck in Namensbildungen wie Lutherzither und Wartburglaute und spiegeln sich auch in der baulichen Ausführung und Gestaltung der Instrumente wider.
Unter dem Namen "Wartburglaute" warb in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts Ernst Hettstedt für eine historisierende Zister: "Die Wartburglaute / D.R.G.M. und D.R.P.a. / Die Laute der deutschen Minnesänger / ist das beste Hausmusik- und Wanderinstrument, klangreicher als Mandoline und Gitarre, leicht erlernbares Spiel. Alleiniger Fabrikant: Ernst Hettstedt / Bad Reichenhall / Poststraße 56, Rückgebäude. Zu beziehen daselbst. Ausfuhrzollfrei." (Hettstedt 1924, Rückseite). Im Vorwort seiner eigens für dieses Instrument bestimmten Schule berief sich Hettstedt auf das "musikalische Erbe" seiner thüringischen Vorfahren und verwies auf das historische Vorbild: "Es ist mir gelungen, ein altes Instrument aus dem Jahre 1627 zu erwerben, und ich bin somit in der Lage, dieses uralte und urdeutsche schöne Instrument in seiner ursprünglichen Form wieder zu bauen und so zu neuem Leben zu erwecken." (Hettstedt 1924, S. 4). Hettstedts "Wartburglaute" lehnte sich an ein Instrument des Crawinkeler Instrumentenmachers Georg Nicolaus Köllmer (1775-1850) an, wurde mit vier Doppelchören bezogen und griff die Stimmung der "Thüringer Diskantzither" auf.
Mit dem Namen Lutherzither verband gegen Ende des 19. Jahrhunderts der Gymnasialprofessor Ferdinand Roese ein vierchöriges Diskantzisternmodell, für das er ein Lehrwerk und ein Album mit Spielstücken verfaßte. Die Namensgebung begründete er aus der Annahme, das auf dem Instrument Martin Luther "ein Meister" war. Allerdings dürfte es sich hier um eine Spekulation handeln. Belege dafür existieren nicht.
Das "Thüringische Wörterbuch" (1965, Bd. IV, S. 390) definiert die "Lutherzither" als "größere Form der Waldzither" und gibt als Verbreitungsgebiet des Wortes Ilmenau und Manebach an. Rubardt (1955, S. 36) bezog wahrscheinlich infolgedessen und fälschlicherweise diesen Namen auf die Theorbenzister von Johann Gottfried Klemm jun. (Inv.-Nr. 632).
Ferdinand Roese: Schule zur Erlernung der Lutherzither, Wismar i/M. 1896 Ferdinand Roese: Schule zur Erlernung der Lutherzither, Wismar i/M. 1896; Selbstverlag, 36 S. querf.; Schule für achtsaitige (4 x 2) Waldzither in g - c' - e' - g' (= "Jägerstimmung") ; Notenschrift mit Fingersatzangaben, S. 24: "Bergmannsstimmung": g - h - d' - g'; ders.: Album für Luther-Zither (vgl. Katalog Zimmermann 1899, S. 72).
Im Gegensatz zum historischen Vorbild steht bei der Lutherzither die Vereinfachung der Konstruktion, die sich in erster Linie durch eine einteilige Zarge und einen Verzicht auf die Verjüngung der Zargenbreite zum Unterklotz hin ausdrückt. Vertrieben wurde die Lutherzither u.a. von den Handelsfirmen Zimmermann in Leipzig oder Adolf Kessler junior in Markneukirchen.
Katalog der Handelsfirma Julius Heinrich Zimmermann, Leipzig, um 1899, S. 72 Katalog der Handelsfirma Julius Heinrich Zimmermann, Leipzig, um 1899, S. 72
Auf der Markneukirchener Gewerbe- und Industrie-Ausstellung vom 8. bis 15. August 1897 stellte die Firma G. V. E. Wettengel "1 Luther-Zither, das Grifbret mit unregelmäßigen Bunden" aus (ZfI XVII, 1897/98, 875).
Katalog Kessler 1905
Preisliste Nr. 10 der Handelsfirma Adolf Kessler junior, Markneukirchen, um 1905, S. 34
Im 20. Jahrhundert erhielt sich der Name Lutherzither unspezifisch als Bezeichnung für die sogenannten Thüringer Waldzithern. So bot die Markneukirchner Handelsfirma Paulus das "Große Böhm-Modell", also eine Waldzither mit Schraubenmechanik, auch unter dem Namen Lutherzither an.
Angebotskatalog Nr. 40/1992/B der Handelsfirma Edmund Paulus, Markneukirchen, o.J. (um 1935), S. 12
vgl. auch: Elise Herold, Waldzither-Schule. Mit eingehenden Erklärungen, Abbildungen, Grifftabellen, zahlreichen Übungsstücken, und einer Sammlung der schönsten Lieder und Unterhaltungsstücke. Hamburg und Leipzig 1920, Verlag Anton J. Benjamin; 63 S. qu., Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Sign. 0.52059; als "ursprüngliche Stimmung" der Waldzither wird hier diejenige der "Lutherzither", wie sie "Harzer Bergleute" verwandten, genannt: g - h - d' - g' (auch: "Bergmannsstimmung").
Die Konfusion wird gänzlich durch ein weiteres Lehrwerk: Carlo Jutzi, Waldzither-Schule für 9saitige Instrumente in Original "G"-Stimmung. Harth: Leipzig, Berlin 1955; 72 S., 2 Beil., qu.; S. 9: Jutzi bezeichnet als Originalstimmung die "Bergmannsstimmung": g - d' - g' - h' -d² und nennt als Stimmung für die "Lutherzither" (oder "Jäger-Stimmung") diejenige der Tenorwaldzither in c: c - g - c' - e' -g'.
Inhalt  |  Zistern Überblick  |  4351  |  Bibliographie
© STUDIA INSTRUMENTORUM MUSICAE 2001