Mitteleuropäische Zithern im 19. Jahrhundert: Die Entstehungsbedingungen
Andreas Michel
Wie bei kaum einem anderen Musikinstrument ist die Geschichte der modernen Zither von zahlreichen Widersprüchlichkeiten begleitet.
Die Geburt der neuzeitlichen europäischen Zither fällt in eine Phase mannigfaltiger Umbrüche in der Volksmusik und der Kultur des Bürgertums. Es wäre zu engsichtig, bei der Betrachtung der Frühphase der Zither dieses Instrument lediglich als Erweiterung und Vergrößerung des Scheitholtes zu betrachten. Die bauliche Entwicklung korrespondiert mit vielen sozialen, ethnographischen und musikhistorischen Aspekten, die insgesamt ein bestimmtes Existenzklima ausformten, das die Entstehung des neues Instrumententyps begünstigte und förderte.
1. Der endgültige Übergang von der Bordunmusik zu funktionsharmonisch geprägter Volksmusik am Ende des 18. Jahrhunderts, im Alpenländischen Raum besonders durch die Ausbreitung des Ländlers vollzogen, hat einen grundlegenden Wandel im Instrumentarium der Volksmusik zur Folge.
2. Unter dem Konkurrenzdruck der Gitarre werden die Zistern (Halszithern) aus dem Instrumentarium der usuellen Musik ausgegliedert. Die typische Klangfarbe der obertonreichen metallbesaiteten Zister geht verloren und kann vom Scheitholt nur partiell ersetzt werden.
3. Die Frühgeschichte der Zither kann nicht losgelöst von der Geschichte anderer Zupfinstrumente betrachtet werden. Während die Gitarre in Deutschland ihre erste Blütezeit erlebt, findet eine qualitative Entwicklung der Zither statt, an deren Ende um die Jahrhundertmitte das Aufkommen der Konzertzither steht. Während nun das Zitherspiel eine ständig zunehmende Verbreitung erfährt, ist gleichzeitig ein Rückgang des Interesses an der Gitarre festzustellen. Nach dem Ende der "Guitarromanie" gegen Mitte des 19. Jahrhunderts beginnt die eigentliche Blütezeit der Zither, die fortan als volksmusikalisches Gegenstück zum bürgerlichen Pianoforte in der Hausmusik gilt.
4. Im Zusammenhang mit der Funktionsharmonik verändert sich das Klangideal der mitteleuropäischen Volksmusik im 19. Jahrhunderts. Instrumente mit volleren, weicheren und dunkleren Klangfarben werden zunehmend bevorzugt.
5. Die Herausbildung der modernen Konzertzither ist zeitlich und regional erstaunlich genau eingegrenzt. Sie fand in einer relativ kurzen Phase schwerpunkthaft im Alpenländischen Raum statt und ist somit zunächst durch das Postulat einer homogenen Musikkultur geprägt. Wie bei nur wenigen anderen Instrumenten kann spätestens seit dem Ende des 18. Jahrhunderts von einer rein zentraleuropäischen Sonderentwicklung gesprochen werden, die erst am Ende der Formierungsphase überregionale und internationale Bedeutung erhält.
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© STUDIA INSTRUMENTORUM MUSICAE 1998