Theorbenzistern
Andreas Michel
Etwa seit dem Ende des 17. Jahrhunderts wurden Zistern - nach dem Vorbild der theorbierten Lauten oder Theorben - auch als Instrumente mit zwei Wirbelkästen gebaut. Der zweite Wirbelkasten dieser Theorben- oder Erzzistern nimmt zwischen fünf bis neun freischwingende Baßsaiten auf. Hauptverbreitungsgebiet von Theorbenzistern waren Frankreich und Deutschland. Hier bildete vor allem Nürnberg, wo Andreas Ernst Kram etwa zwischen 1760 und 1790 Theorbenzistern baute, ein wichtiges Zentrum. Zuvor erlangte allerdings die Fertigung von Theorbenzistern im sächsischen Eppendorf und Radeberg eine besondere Bedeutung.
Theorbenzister, wohl Le Blond, Dunkerque, um 1780, Musikinstrumenten-Museum der Universität Leipzig, Inv.-Nr. 629 "Französische Theorbenzister" (auch "Guitarre allemande"), gespäntes Lautenkorpus

Theorbenzister, wohl Le Blond, Dunkerque, um 1780, Musikinstrumenten-Museum der Universität Leipzig, Inv.-Nr. 629
Theorbenzister, Andreas Ernst Kram, Nürnberg 1772, Germanisches Nationalmuseum, Inv.-Nr. MIR 849 "Nürnberger Theorbenzister" (Andreas Ernst Kram), flaches Zargenkorpus


Theorbenzister, Andreas Ernst Kram, Nürnberg 1772, Germanisches Nationalmuseum, Inv.-Nr. MIR 849

Sächsische Theorbenzistern
unsigniert, Wien, Kunsthistorisches Museum, Inv.-Nr. N.E. 65 Johann Gottfried Vogel, Eppendorf, München, Stadtmuseum, Inv.-Nr. BNM Mu 4 unsigniert, Halle, Händel-Haus, Inv.-Nr. MS-134 unsigniert, Leipzig Nr. 631 (Kriegsverlust) unsigniert, Leipzig Nr. 4540  
1 2 5 6 7 9  
Johann Gottfried Klemm (jun.), Radeberg 1755 Johann Gottfried Klemm (jun.), Radeberg 1756          
4          
1 unsigniert Wien, Kunsthistorisches Museum, Inv.-Nr. N.E. 65 Schlosser 1920, 61; Reinhard 1952, Taf. 47, Nr. 3; Kinsky 1929, 141, Taf. 4
2 Johann Gottfried Vogel, Eppendorf um 1690 München, Bayerisches Nationalmuseum, Inv.-Nr. BNM Mu 4 Schulze 1985, 220, 312f.; Michel 1989, 17f.; Guckeisen 1884, S. 13; Michel 1990, 293
3 Johann Gottfried Klemm (jun.), Radeberg 1755 Leipzig, Musikinstrumenten-Museum der Universität, Inv.-Nr. 632 de Wit 1903, 82 (Nr. 211); Kinsky 1912, 194f.; Kinsky 1913, 82; Schultz 1929, 60; Rubardt 1955, 36; Rubardt 1964, 31; Michel 1990, S. 292ff.; Michel 1999, 93f.
4 Johann Gottfried Klemm (jun.), Radeberg 1756 Den Haag, Gemeentemuseum Baines 1966, 40 (Nr. 236); van Acht 1982, 20
5 unsigniert Halle, Händel-Haus, Inv.-Nr. MS-134 Sasse 1972, 208f.
6 unsigniert Leipzig, Musikinstrumenten-Museum der Universität, Inv.-Nr. 631 (Kriegsverlust) de Wit 1892, 8; Katalog Wien 1892, 144 (Nr. 29); de Wit 1893, 20 (Nr. 82); de Wit 1903, 84 (Nr. 212); Kinsky 1912, 194; Kinsky 1913, 94; Schultz 1929, 47; Michel 1999, 92
7 unsigniert Leipzig, Musikinstrumenten-Museum der Universität, Inv.-Nr. 4540 Michel 1999, 96ff.
8 unsigniert Leipzig, Musikinstrumenten-Museum der Universität, Inv.-Nr. 633 (Kriegsverlust) Kinsky 1912, 194, 197; Kinsky 1913, 94; Schultz 1929, 47; Michel 1999, 98
9 unsigniert Milano, Museo degli Strumenti Musicali, Inv.-Nr. 265 Gallini 1963, S. 122 und Taf. LXXI
Theorbenzister, J. G. Vogel, Eppendorf um 1690, München, Stadtmuseum, Inv.-Nr. BNM Mu 4 Das charakteristische Merkmal der in Sachsen gebauten Theorbenzistern ist das Korpus mit zweifach eingezogener Oberflanke und der über dem Unterklotz eingeschnürten Unterflanke. Die Griffbrettchöre (4 x 2 Saiten) sind an einem vorderständigen Saitenhalter mit Metallhaken befestigt, während die unterständig angebrachten Baßchöre (8 einzelne Saiten) über einen außermittig in die Deckenkante eingelassenen Untersattel verlaufen. Der an einen gerundeten Halsklotz anschließende Hals endet in zwei Wirbelkästen mit je 4 x 2 Flankenwirbeln. Als Wirbelkastenabschluß dient eine schlichte Kopfplatte. Bei einigen der überlieferten Instrumente wurden Decke und Boden mit kolorierten Stichen beklebt (Halle Inv.-Nr. MS-134 und München Inv.-Nr. BNM Mu 4).

Eine Variante dieses originären Typs der Theorbenzister baute der Radeberger "Kunstdrechsler, Geigen- und Lautenmacher" Johann Gottfried Klemm (jun.). Neben dem Instrument in der Leipziger Sammlung Inv.-Nr. 632 befindet sich ein zweites im Gemeente-Museum Den Haag. Als Besonderheit fallen die beiden nebeneinander symmetrisch in die Decke eingelassenen Schallöcher auf.
Theorbenzister Johann Gottfried Vogel, Eppendorf um 1690; München, Bayerisches Nationalmuseum, Inv.-Nr. BNM Mu 4
Fehlingk: Bergsänger mit Theorbenzister (Tuschezeichnung) Die Verwendung dieser Instrumente durch die sächsischen Bergsänger belegt eine Zeichnung von Carl Heinrich Jacob Fehlingk (1683-1755) mit dem Titel "Musicus metallicus / Ein Berg-Sänger", die zu einem Bilderzyklus mit dem Titel "Die Kleidungen derer hohen und niedern Berg-Officiers, Berg-Beambten und Berg-Arbeiter, wie solche in den Bergmännischen Aufzug, in Plauischen Grund ohnweit Dreßden gegangen, am 26. Septembr: anno 1719" gehört. Sie zeigt einen Bergsänger mit Theorbenzister, deren Korpus die erwähnten Merkmale (eingezogene Unterflanke und doppelt eingezogene Oberflanke, Querriegel und Steg, Wirbelkasten in Theorbenart) aufweist. Der untere Wirbelkasten besitzt 11 Wirbel, der obere 8 Wirbel, desweiteren ist ein Schalloch mit Rosette zu erkennen, der Musiker spielt es ohne Plektrum, also in Zupfspielart. Im Hintergrund ist die Rückansicht des Bergsängers dargestellt. Von seinen Spielern wurde das Instrument als Zither, möglicherweise auch als Pandor-Zither bezeichnet. Die in der jüngeren instrumentenkundlichen Literatur oft anzutreffende Bezeichnung "Thüringer Zither" für diesen Instrumententyp stellt eine ahistorische Benennung dar und sollte deshalb vermieden werden.
 
 Friedrich Sieber erwähnte in seiner Studie über den Bergsänger Georg Kempfe (1652-1728), daß am Beginn des 18. Jahrhunderts die Gruppe des Bergsängers Gottfried Rudolph Instrumente mit dem Namen Pandor-Zither und Pandor-Guitarre benutzte (Friedrich Sieber: Aus dem Leben eines Bergsängers, Leipzig  1958, S. 70f. und 75). Zweifellos sind damit die saitenreichen Theorbenzistern gemeint. Schon Andreas Beyer schrieb 1681: "Pandor / welches / wie nahe es mit der Zitter übereinkomme / und etwan etliche Seiten mehr habe / bekannter ist / als daß man viel Wesens davon mache" (Beyer 1681, S. 275).
Aus dieser Bemerkung läßt sich schließen, daß die Pandora bereits am Ende des 17. Jahrhunderts einen hohen Bekanntheitsgrad in Sachsen besessen haben muß. Der Verweis auf die Ähnlichkeit zur Zister und die vermehrte Saitenanzahl lassen vermuten, daß Beyer Theorbenzistern meinte. Allerdings wurden in Deutschland zwischen etwa 1600 und 1750 als Pandora Generalbaßinstrumente bezeichnet, die besonders in der höfischen Musik angewandt wurden.
Carl Heinrich Jacob Fehlingk (1683-1755): Die Kleidungen derer hohen und niedern Berg-Officiers, Berg-Beambten und Berg-Arbeiter, wie solche in den Bergmännischen Aufzug, in Plauischen Grund ohnweit Dreßden gegangen, am 26. Septembr: anno 1719, "Musicus metallicus / Ein Berg-Sänger", Feder und Pinsel in Tusche, grau laviert, 549 x 861 (gesamt), 140 x 104 (einzelnes Feld "Musicus metallicus", ohne Schrift; mit Schrift: 166 x 104), Dresden, Kupferstich-Kabinett, Inv.-Nr. C 6777 (ehemals Ca 201, Nr. 37); Lit.: Fritzsch/Sieber 1957, 25-36 und Taf. 7a; Michel 1989, 78, Nr. 7; Neubert 1990, 221; Michel 1992, 34f.; Bachmann, Marx & Wächtler 1990, 222, Nr. 330 und Frontispiz
Stimmungen
Johann Joseph Klein: Lehrbuch der theoretischen Musik in systematischer Ordnung. Leipzig und Gera, 1801 S. 121 Discantzither c²   a¹   f¹   c¹        b   a   g   f    e   d   c   B
Tenorzither g¹   e¹   c¹   g f    e   d   c   B   A   G   F            
Baßzither c¹   a    f     c B   A   G   F   E   D   C   B
Heinrich Welcker von Gontershausen: Neu eröffnetes Magazin musikalischer Tonwerkzeuge, Frankfurt a. M. 1855, S. 100 Discantzither c²   a¹   f¹   c¹          b   a   g   f   e   d   c    B
Tenorzither c²   g¹   e¹  c¹   g f   e   d   c   B   A   G   F            
[Baßzither?] a¹   d¹   h   g    d   G  
Inhalt  |  Zistern - Übersicht  |  Bibliographie  | 629  |  630  |  631  |  632  |  633  |  4540
© STUDIA INSTRUMENTORUM MUSICAE 2001