Modell Vihuela, Tielke-Gitarre, Chitarra Battenta
Heidi von Rüden
Für eine Gruppe kleinerer Gitarrentypen wählte Richard Jacob Bezeichnungen, die in keinem Bezug zueinander stehen: "Tielke-Gitarre", "Vihuela" oder "Chitarra battenta", handelt es sich doch um Namen für drei Zupfinstrumententypen aus unterschiedlichsten Zeiten und Regionen. Die Form dieser Gitarren, die von Weißgerber besonders aufwendig dekorierte und gestaltetet wurden, erinnert am ehesten an die Bauart von Gitarren aus der Barockzeit, z.B. von Joachim Tielke (1641-1719).
Katalog 1933, S. 10: "Tielke-Gitarre" Postkarte "Gitarre nach Tielke" Postkarte "Historische Gitarre (um 1700)"  
Katalog 1933, S. 10: "Tielke-Gitarre (auch Vihuela oder Chitarra battenta)". Postkarten: "Gitarre nach Tielke 5saitig, doppelchörig"; "Historische Gitarre (um 1700) mit 10 Saiten zu 5 Chören"
Dem allgemein herrschenden historisierenden Verständnis der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts folgend, entsprechen die Modelle "Vihuela" und "Chitarre battente" nur sehr vage den historischen Vorbildern. Am deutlichsten weichen seine Vorstellungen der "Vihuela" von den Instrumenten des 16. Jahrhunderts ab, von denen ohnehin nur zwei erhalten blieben (Paris, Jaquemart-André-Museum).
Richard Jacob: Modell Vihuela, Markneukirchen 1924; Inv.-Nr. 4757 Jacob dürfte sich weder an diesen Instrumenten noch an den zeitgenössischen ikonographischen Zeugnissen orientiert haben. Die wesentlichen Konstruktionsmerkmale der Vihuela - ein Korpus mit flachem Boden, nur leicht eingezogenen Seiten und mehreren Schallöchern – lassen sich am wenigsten an den Gitarren Weißgerbers ausmachen.
Richard Jacob: Modell Vihuela, Markneukirchen 1924; Inv.-Nr. 4757
Gleiches muß für die Chitarra battente gelten. Auch hier weichen seine Realisierungen grundsätzlich von den italienischen Vorbildern ab. Weißgerber ließ sich von den individuellen und interessanten Bauformen anregen, um eigene Adaptionen zu schaffen. Dabei verwendete er die historischen Namen im Sinne einer Modellbezeichnung, wenngleich er durchaus im Auge hatte, für die authentische Aufführung alter Musik geeignete Klangwerkzeuge zur Verfügung zu stellen. In seinem Testament bedankt er sich unter anderem bei seinen Kunden "aus den Kreisen für Alte Musik auf alten Instrumenten". Dafür spricht auch das Angebot, die Gitarren doppelchörig auszuführen, was zu der Zeit nur selten praktiziert wurde.
Die Klangfarbe der Gitarren wird allerdings wenig authentisch gewesen sein, denn die Innen-Konstruktion weicht erheblich von den Gitarren des Barock ab. Die Gitarre mit der Inv.-Nr. 4757 besitzt bereits Fächerleisten an der Decke und die zweite "Tielke-Gitarre" trägt vier Querbalken mit einer Kreuzbeleistung unterhalb des Steges. Die Saitenbefestigung (Steckersteg) und die Größe und Position der Schallöcher sind ebenfalls nicht authentisch.
Katalog 1933, S. 11, Nr. 91: Vihuela Richard Jacob, Verkaufskatalog 1933, S. 11: "Historische Lauten für die neue Hausmusik aus der Kunstwerkstätte »Weißgerber«. Vihuela Nr. 91, Renaissance-Laute Nr. 92, große hist. Knickhals-Laute Nr. 93 sind nach altem Stil des 16. Jahrhunderts gebaute, ausgesprochene Künstlerinstrumente, doppelchörig besaitet, von leichtester Spielbarkeit und Reinheit, mit edlem silbernen Klang. Sie eignen sich besonders zum Zusammenspiel mit Blockflöten und Gamben und zur stilechten Wiedergabe alter Lautenmusik der Renaissancezeit.
Nr. 91 Vihuela, 11saitig, ist eine alt-italienische Bauart in Gitarreform, mit lautenartig gewölbtem Boden und mit hohen Zargen. Es werden nur allerbeste Edelhölzer dazu verwendet und ist mit festen Bünden. Der Kopf hat nach rückwärts stehende Wirbel. Der Ton dieses Instrumentes ist sehr gut und weich.
Die Stimmung ist in Terz: Gg-, Cc, Ff-, aa-, dd-, g. Diese Vihuela baue ich auch 6saitig, oder auch doppelchörig in Primstimmung.
Richard Jacob, Verkaufskatalog 1933, S. 11
Lit.: Andreas Michel: Das »Tielke-Modell« von Richard Jacob Weißgerber. Historisierender Gitarrenbau im frühen 20. Jahrhundert. In: Hinter den Tönen. Musikinstrumente als Forschungsgebiet. Festschrift für Friedemann Hellwig zu seinem 80. Geburtstag, Nürnberg 2018, S. 73-85
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