Spielpraxis und historische Stimmungen der Zister |
Andreas Michel |
In ihrer Frühgeschichte gehörte die Zister - zusammen
mit Laute und Gitarre - zu jenen Saiteninstrumenten, die mit einem
Plektrum aus Federkielen, Horn, Schildpatt, Baumrinde o.ä. angeschlagen
wurden. Während sich jedoch bei Laute und Gitarre etwa im letzten
Drittel des 15. Jahrhunderts der Übergang zu einer gezupften
Anschlagsweise mit Fingerkuppen vollzog, blieb die Zister – von einigen
Ausnahmen bei Bassinstrumenten abgesehen - immer in der
Plektrumspielweise verhaftet. |
Die wichtigste Ursache für diese unterschiedlichen
Entwicklungen ist zweifellos das jeweils verwendete Saitenmaterial:
Gitarre und Laute wurden mit Saiten aus Darm, die Zister jedoch generell
mit Metallsaiten aus Stahl, Messing, Eisen, zuweilen auch Silber,
bezogen. Aus dem Saitenmaterial ergaben sich damit zunächst markante
Klangfarben, die eine differenzierte musikalische Funktion bedienten.
Aus praktischer Sicht, der Haltbarkeit und Robustheit der Saiten,
leiteten sich weitere Folgen für die Musikpraxis ab. Letztlich aber
resultierte aus diesen Faktoren eine unterschiedliche Spiel- und
Anschlagstechnik bei den Zupfinstrumenten, die die weitere Entwicklung
maßgeblich beeinflußten. |
Wie bei fast allen Zupf- und
Streichinstrumenten, die ihre Wurzeln im europäischen Mittelalter haben,
wurde ursprünglich mit Zistern einfache Bordunmusik gespielt. Zum
Melodiespiel auf der äußeren, in der Regel höchsten Saite werden in
Quinten gestimmte Saitenchöre als Leersaiten ungegriffen
angeschlagen. Die aus heutiger Sicht ungewöhnlichen Stimmungen der
vierchörigen Zistern im 16. Jahrhundert a g d' e' (französische
Stimmung, auch in Deutschland verbreitet) und h g d' e' (italienische
Stimmung) müssen als ein Relikt der Bordunspielweise angesehen werden.
Die Quinte g – d' als Bordun wird durch zwei ebenfalls im Quintabstand
stehende Saitenchöre so ergänzt, daß zum Bordun eine diatonische Leiter
zur Verfügung steht. Angeschlagen wurden in der Regel gleichzeitig drei
Saiten: entweder der I.-III. Chor oder der II.-IV. Chor. |
Zisternsatz in Bordunspielweise (Hypothese) |
|
Bei einer Stimmung in a g d' e' wird die Melodie nur auf dem 1. (höchsten) Saitenchor gespielt, die Saiten des 2. und 3. Chores bilden den Bordun |
|
Die ältesten Aufzeichnungen in Form von Tabulaturen
stammen aus dem frühen 16. Jahrhundert. Sie zeigen von der
Anschlagstechnik her noch deutlich die Merkmale des Bordunspiels, der
musikalische Satz allerdings weist bereits Merkmale der Dreiklangs- und
Funktionsharmonik auf. Interessant ist, wie mit der traditionellen
Anschlagstechnik die Dreiklangsbildung verknüpft wird. Da mit einem
Plektrum entweder alle Saiten oder aber nur die unmittelbar benachbarten
angeschlagen werden können, müssen hier Kompromisse für den Satz
gefunden werden. Diese bestehen vor allem in der Doppelung von
Akkordtönen und der häufigen Verwendung von Quartsextakkorden. |
|
Das Beispiel ist typisch für die Zisternmusik des Renaissance-Zeitalters. Es
zeigt aber auch die Grenzen der Zisternmusik: Polyphone, kontrapunktische Sätze,
wie sie auf der Laute und zunehmend auch auf der Gitarre gespielt wurden,
konnten auf der plektrumgespielten Zister kaum oder nur schwer realisiert
werden. So erfolgte mit der Wende zum Generalbasszeitalter am Anfang des 17.
Jahrhunderts die Ausgliederung der Zistern aus dem Instrumentarium der höfischen
und bürgerlichen Musik. Daran konnte auch die Tatsache nichts ändern, daß es
eine ganze Reihe von Zisterinstrumenten mit einer vermehrten Zahl von Basssaiten
gab (meist mit dem Namen Pandora), die mit den
Fingern gezupft wurden und die somit in ihrer Spieltechnik den Lauten nahe
standen.
|
|
Tabulatur für vierchörige Zister in a - g - d' - e' (= französische Stimmung)
Adrian Le Roy & Robert Ballard: Brève et facile instruction / pour apprendre la
tablature, / à bien accorder, conduire, et / disposer la main sur / le cistre.
Paris 1565; fol. Ei: Quatrieme Branle de Bourgongne. |
|
Im Gegensatz zu vielen anderen Instrumenten konnten
erfolgte bei den Zistern keine Normierung in Bezug auf Größe,
Mensurierung, Familienbildung und Stimmung (Zur Variantenvielfalt der
Zisterstimmungen vgl. Die Musik in Geschichte und Gegenwart, Bd. II
[1952], Sp. 1451-1458 und ebd., Neuausgabe des Sachteils, Bd. II [1995],
Sp. 886-898). Die Zisternstimmungen tendierten zur Verwendung von großen
und kleinen Terzen, so daß sich "offene" Dreiklangsstimmungen
(ausschließlich Dur) ergaben. Mit diesen konnte sich das Instrument vom
17. bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts vereinzelt als
Dilettanteninstrument behaupten, wobei man auch zur Fingerspielweise
überging. Insgesamt standen die Zistern jedoch weit hinter der Bedeutung
und Popularität von Laute und Gitarre zurück. Aus Norddeutschland sind
einige wenige Aufzeichnungen aus dem 17. Jahrhundert überliefert, die –
meist für das sogenannte Hamburger Cithrinchen geschrieben – weitgehend
schlichte Arrangements von Liedern, Arien und stilisierten Tänzen
verkörpern. Zahlreiche überlieferte Theorbenzistern des Nürnberger
Instrumentenmachers Andreas Ernst Kram (1718-1787) lassen auf eine
gewisse regionale Verbreitung dieser dreizehnchörigen Zupfinstrumente in
Süddeutschland schließen. Auch sie wurden mit Fingern gezupft (siehe
Michel 1996, S. 83-98). |
Vereinzelt findet man die Verwendung von Cythern und
Cythringen in Kompositionen aus dem 17. Jahrhundert, wie beispielsweise
in einem mehrstimmigen Cantio nuptialis. Hier spielen die beiden Zistern
jeweils einstimmige Melodien, auf polyphone Satzweise wird – abgesehen
von den Schlußakkorden – verzichtet. |
|
Cantio nuptialis / Zwingt die Saiten in
Cythara / à 6 / 2 Cant. / 2 Cÿtharin / 1 Viol da gamb. / 1
Fagott. / Con Basso Continuo.; geistliches Konzert in C-Dur;
Solokantate à 6, Handschrift von Georg Adam Strecker,
Erfurt 12. November 1679; Stimmen 8°; Berlin, Staatsbibliothek,
Musikabteilung, Mus. ms. Concert, geistl., anonym 1071; ehemals
Bibliothek der Erfurter Michaeliskirche; Über den Stimmen: II
Citharin., Citharin 2.; Beginn der Stimme für die 1. Zister |
|
Im wesentlichen beginnt mit dem 17. Jahrhundert
jedoch die Verwurzelung der Zistern in der Musik der unteren
Volksschichten, insbesondere bei Bergleuten und Bergbewohnern. Die
mitteldeutschen Bergregionen – Thüringer Wald, sächsisches Erzgebirge
und der Harz – stellen dabei die wichtigsten Bewahrer des
Zupfinstruments dar. Obwohl keine musikalischen Notationen überliefert
sind, kann man davon ausgehen, daß die Plektrumtechnik weiterhin in der
traditionellen Art gepflegt wird. In einer Beschreibung von
bergmännischer Musik aus dem Jahre 1684 heißt es, daß die Bergleute die
"starckklingenden Seyten" der Zithern nicht schonen, sondern sie
"schlagen mit dem Federkiel weidlich drauff / daß es nur allenthalben
fein starck klinget und thönet" (Christian Meltzer: Bergläufftige
Beschreibung Der ... Bergk-Stadt Schneebergk, Schneeberg 1684, S. 705f.) |
Leider sind bis heute keine musikalischen Notationen
oder andere Quellen bekannt, die diese usuellen Spieltechniken genauer
schildern. Aber das zitierte "Schlagen mit dem Federkiel" läßt eine
akkordische Spielweise annehmen. Die "offenen" Stimmungen bieten sich
geradezu dafür an. Das Beispiel aus einer Tabulatur für den jungen
sächsischen Herzog Johann Christian kann vielleicht andeuten, wie eine
solche usuelle Spielweise ausgehen haben könnte. |
|
Tabulatur Buch / Auff dem Instrument / Christianus Herzogk Zu / Sachssen, Dresden, Ende 16. Jahrhundert; Dresden, Sächsische Landesbibliothek, Handschriftenabteilung, Mscr. Dresd. J 307m; fol. 67r. französische Tabulaturschrift für sechschörige Zister in h - G - d - g - d' - e' |
|
|
Die sächsischen Theorbenzistern - Instrumente mit vier Griffbrettchören und sechs bis acht
einzelnen Basssaiten - wurden mit mehreren Fingern gezupft. Die Darstellungen von Fehlingk 1719 lassen das deutlich erkennen. |
|
|
Carl Heinrich Jacob Fehlingk: "Musicus metallicus / Ein Berg-Sänger" (Detail),
Dresden 1719, Kupferstich-Kabinett, Inv.-Nr. C 6777 (ehemals Ca 201, Nr. 37) |
|
Erst am Ende des 19. Jahrhunderts beginnt die
Publikation von Lehrwerken und Spielstücken für die sogenannten
"Thüringer-", "Harzer-" oder "Wald-Zithern". Dabei unterscheidet man
zwar die Stimmungen der nunmehr in Dur-Dreiklängen gestimmten
Instrumente, jedoch dürfte die Spieltechnik keine wesentlichen
Unterschiede aufweisen. Als Standard dürfte – zumindest für die
Diskantzithern – eine Vierchörigkeit gelten. Besonders bei den Thüringer
Instrumenten kamen noch oft noch ein mitunter aber auch zwei, drei oder
vier Basssaiten hinzu. |
Die Stimmungen weisen keine Einheitlichkeit auf. Bei
den Verfassern von Zither-Schulen kann man die unterschiedlichsten
Angaben, die sich zum Teil merklich widersprechen, finden. Die
Grundstimmung geht bei den Thüringer wie bei den Harzer Zithern auf
einen Dreiklang zurück. Die Intervalle zwischen den Chören lauten (vom
tiefsten Chor aufwärts): |
Vierchörige Zithern |
|
Quarte |
große Terz |
kleine Terz |
ünfchörige Zithern |
Quinte |
Quarte |
große Terz |
kleine Terz |
|
Bereits im 18. Jahrhundert lassen sich mindestens
drei gebräuchliche Lagen nachweisen: Diskant, Tenor und Bass. Die Angaben
zur Stimmung stammen erst aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.
Sie sind relativ zu werten, eine Bemerkung in einer anonym verfaßten
Anleitung zum Spiel auf der Thüringer Zither aus der Zeit vor 1912 heißt
es: "doch kann man nach Belieben jede Zither bis zu einer Terz höher
oder tiefer stimmen" (H.v.A., vor 1912). |
Generell läßt sich für die Lagen der Thüringer
Zithern folgende Feststellung treffen: |
Lage |
Stimmung der höchsten Saite |
Quellen |
Basszither |
e' |
Mendel/Reissmann 1879; H. v. A. 1912; Wobersin, Jutzi 1955 |
Tenorzither |
g' |
Mendel/Reissmann 1879; Roese 1896; H. v. A.
1912; Stock 1913; Herold 1920; Wobersin; Jutzi 1955 |
Diskantzither |
d² |
Möller 1897; Wobersin; Jutzi 1955 |
Piccolozither (Terzzither) |
g² |
Wobersin; Jutzi 1955 |
|
Zusätzlich werden für die Tenorzither a' (Hettstedt
1924; Wobersin; Jutzi 1955) und für die Terzzithern a² (Jutzi 1955)
bzw. b² (A. v. H., vor 1912) angeführt). Die angeführte Übersicht läßt
mit der klaren Trennung der Register eine ausgeformte Familienbildung
erkennen, die auch durch überlieferte Instrumente belegt wird (Michel
1999, S. 108). Älteren Angaben zufolge war die Diskantzither in D-Dur
mit der höchsten Saite in a' gestimmt (Mendel/Reissmann 1879; H. v. A.
vor 1912), was allerdings keine klare Registertrennung zwischen Tenor–
und Diskantlage bedeuten würde. Für die Anzahl der Saitenchöre
existierte keine Norm, Diskantzithern waren häufiger vierchörig als die
Tenorzithern, die in der Regel fünf (und mehr) Chöre besaßen. |
Ob es eine klare Unterscheidung zwischen der Stimmung
von Thüringer und Harzer Instrumenten gegeben hat, darf angezweifelt
werden. Die von Willi Heindorf und Helmut Wagner genannte Vierchörigkeit
in D-Dur als Merkmal der Harzer Zithern (vgl. Lutz Wille: Von Harzer
Waldzithern. In: Unser Harz, 46. Jg., Nr. 4/1998, S. 77) kann man auch
bei Thüringer Zistern finden. Dabei ist die Stimmung in C oder D kein so
schlüssiges Kriterium, da man die oben erwähnte Relativität in bezug auf
die Stimmtonhöhen unterstellen darf. Die im Zuge der Wiederbelebung
alter Volksinstrumente von Ernst Hettstedt herausgegebene Schule für
Wartburglaute (Bad Reichenhall 1924) ist für eine vierchörige Waldzither
in a - d' - fis' - a' verfaßt, die Schule für Lutherzither von
Ferdinand Roese (Wismar 1896) steht in g - c' - e' - g'. |
Zur Spezifik der Harzer Zither finden sich in der
Literatur zudem recht widersprüchliche Angaben, deren historischer
Quellenwert angezweifelt werden muß. Elise Herold nannte in ihrer 1920
veröffentlichten Waldzither-Schule als "ursprüngliche Stimmung" der
Waldzither diejenige der "Lutherzither", wie sie "Harzer Bergleute"
verwandten: g - h - d' - g'. Eine Quelle für diese Stimmung wird nicht
genannt. Möglicherweise geht sie auf die Schule für Lutherzither von F.
Roese (1896) zurück, der sie als Bergmannsstimmung bezeichnet, jedoch
keinen Verweis auf den Harz gibt. Interessant ist außerdem, daß die
Markneukirchner Handelsfirma Schuster & Co. in den dreißiger Jahren als
Harzzither ein fünfchöriges (neunsaitiges) Instrument mit
Flankensteckwirbeln in C anbot (Hauptkatalog L 9 der Sächsischen
Musikinstrumenten-Manufaktur und Handlung Schuster & Co. Markneukirchen
i. Sa. Markneukirchen o.J., um 1935, S. 21; Reproduktion siehe Michel
1999, S. 139). |
|
In den meisten Waldzither-Schulen wird in
die Technik des einstimmigen Melodiespiels eingeführt. Hinzu
kommen des öfteren Akkord-Grifftabellen, Übungen zum
mehrstimmigen Spiel, zu arpeggierten Melodien, Beispiele für
Liedbegleitungen, in den jüngeren Schulen auch die Behandlung
des Tremolospiels u.ä. Insgesamt unterscheidet sich die Anlage
der Lehrwerke kaum von denen für Gitarre oder Mandoline, ein
spezifisches Repertoire ist kaum festzustellen. |
Ferdinand Roese: Schule zur
Erlernung der Lutherzither, Wismar i/M. 1896; für vierchörige (4
x 2) Zister in g - c' - e' - g' |
|
Quellen |
Mendel/Reißmann 1879 |
Hermann Mendel und August Reißmann: Musikalisches Conversations-Lexikon, 11. Band, Berlin 1879, S.
495 |
Roese 1896 |
Ferdinand Roese: Schule zur Erlernung der
Lutherzither, Wismar i/M. 1896; Selbstverlag, 36 S. querf.;
Schule für vierchörige (4 x 2 Saiten) Waldzither in g - c' - e'
- g' (= "Jägerstimmung"); Notenschrift mit Fingersatzangaben,
S. 24: "Bergmannsstimmung": g - h - d' - g' |
Möller 1897 |
P. Möller: Schule zur Thüringer Zither für
den Selbstunterricht. Meiningen, o.J. (1. Auflage vor 1897, 2.
Auflage vor 1913) |
H. v. A. 1912 |
H. v. A.: Leicht faßl. Anleit. zum Spiel der
Thür. Zither / bestehend aus leicht. Tänzen / einfachen /
Volksmelodien und / Uebungsstücken, redigiert von Fritz Werner,
K. Ferd. Heckel, Mannheim o.J. (vor 1912) |
Stock 1913 |
Karl Stock: Schule zur Erlernung der
Thüringer-Wald-Zither, 2. Aufl., Barmen 1913 |
Herold 1920 |
Elise Herold: Waldzither-Schule. Mit
eingehenden Erklärungen, Abbildungen, Grifftabellen, zahlreichen
Übungsstücken, und einer Sammlung der schönsten Lieder und
Unterhaltungsstücke. Hamburg und Leipzig 1920, Verlag Anton J.
Benjamin |
Jutzi 1955 |
Carlo Jutzi: Waldzither-Schule für 9saitige
Instrumente in Original "C"-Stimmung. Leipzig und Berlin 1955 |
Wobersin 1955 |
Wilhelm Wobersin: Schule für die Thüringer
Waldzither in Originalstimmung G Dur (9 saitig), Frankfurt am
Main o.J. (= Zimmermann-Schule Nr. 193) |
|
Publiziert in: Lutz Wille & Norbert Duve (Hrsg.): Die
Harzzither. Band 1. Clausthal-Zellerfeld 2000, S. 26-33 |
Inhalt |
Zistern - Übersicht |
Zisterstimmungen
| Thüringer Zistern
| Bibliographie |
© STUDIA INSTRUMENTORUM MUSICAE 2007 |