Modell Biedermeier
Heidi von Rüden
Mit dem Modellnamen "Biedermeier" bezeichnete Richard Jacob Gitarren mit  langgezogenem, schmalen Korpus (max. Unterbugbreite: 290), niedriger Zargenhöhe (max. 83 am Mittelbug) und kurzer Mensur (625). Im seinem Katalog von 1933 nannte er diese Form "altdeutsche Gitarre" und führte sie unter der Überschrift "Kopien nach alten klassischen Meistern" auf.
Katalog 1933, S. 3, Nr. 50
 
Katalog 1933, S. 3, Nr. 55
 
Postkarte "Kopien nach alten klassischen Meistern aus der Kunstwerkstätte Weißgerber"
 
Postkarte "Kopien nach alten klassischen Meistern"
 
Richard Jacob: Biedermeier-Modelle: Verkaufskatalog 1933, S. 3: Nr. 50; Nr. 55; Postkarte "Kopien nach alten klassischen Meistern" (vgl. Inv.-Nr. 4753 und 4756)
Jacquot, Nancy, um 1840, Privatbesitz Zu den Biedermeier-Modellen zählen auch zwei "wappenförmige" Gitarren: Inv.-Nr. 4753 in sogenannter "französischer Wappenform" mit längsovalem Schallloch und Inv.-Nr. 4754 mit zwei stilisierten flammenförmigen Schallöchern, die neben den Bünden im oberen Deckenviertel angebracht sind. Eine Gitarre weist zudem einen schwachen Einzug des Mittelbuges, etwa der Vihuela vergleichbar, auf.
Als Vorbild für das "wappenförmige" Modell Inv.-Nr. 4753 diente offensichtlich eine von einem Mitglied der in Nancy tätigen Geigenmacherfamilie Jacquot im Jahre 1838 für Fernando Sor entwickelte Gitarrenform.

In Markneukirchen wurden bereits um 1830 Gitarren in französischer "Wappenform" gefertigt, wie z.B. aus den Prospekten und Preislisten der Firma Israel Kämpffens Söhne hervorgeht.
Gitarre, Jacquot, Nancy um 1840; Privatbesitz
Die Instrumente wurden zum Teil auffällig gestaltet. Eine schlichte Kopfform mit Mechanik findet man an drei Instrumenten wieder. Die Umrandung der längsovalen Schallöcher mit eingelegten, stilisierten Blattornamenten orientiert sich an klassizistischem Dekor (Vgl. Meyer 1995, 164ff.). Die halbkreisförmige Deckeneinlage am Endklotz bei Inv.-Nr. 4755 geht ebenfalls auf Vorbilder aus dem 19. Jahrhundert zurück, wie Zeichnungen Otto Bachmanns aus dem Jahre 1835 oder Instrumente von Johann Gottlieb Knößing, einem Leipziger Gitarrenbauer des frühen 19. Jahrhunderts, zeigen.   Richard Jacob: Modell Biedermeier, Markneukirchen 1920/1946; Inv.-Nr. 4753
Richard Jacob: Modell Biedermeier, Markneukirchen 1920/1946; Inv.-Nr. 4753
Gitarre, Johann Gottlieb Knößing, Leipzig 1807; Markneukirchen, Inv.-Nr. 1098 Richard Jacob bot auch den Nachbau einer "Knößing-Gitarre" an (vgl. Katalog 1933, Nr. 55). Das Musikinstrumentenmuseum in Markneukirchen besitzt ein solches Instrument, das Jacob offensichtlich als Vorbild und Anregung diente.
Gitarre
Johann Gottlieb Knößing, Leipzig 1807
Markneukirchen, Musikinstrumentenmuseum, Inv.-Nr. 1098
In der Zeit des Biedermeiers 1810-1830 gelangte die Gitarre als bürgerliches Hausmusikinstrument zu einer großen Popularität, die jedoch am Ende des ersten Jahrhundertdrittels wieder stark abnahm. Gitarrenmodelle dieser Zeit werden zumeist als "Biedermeiergitarren" bezeichnet, wenngleich sich damit eher ein formstilistischer Kanon als eine einheitliche bautechnische Konzeption verbindet. Als charakteristische ergologische Merkmale des relativ schmalen und niedrigen Gitarrenmodells können das deckengleiche Griffbrett, der Steckersteg und das Wirbelbrett mit hinterständigen Wirbeln gelten.
Die Gitarre wurde zur Zeit des Biedermeier von Dilettanten und seltener von konzertierenden Gitarristen gespielt, somit erfüllte sie eher eine sozial-musikalische als virtuos-konzertierende Funktion (Holecek 1996, S. 77). Wenn Richard Jacob in seiner Werbung verlautete, daß sich seine Biedermeier-Gitarren "am besten für Damen mit kleineren Händen eignen" und zur "Liedbegleitung und für Liebhaber bestimmt sind", greift er diesen historischen Bezug auf.
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